Auf der letzten Redaktionskonferenz kam unser Chefredakteur mit dem Vorschlag, zusätzlich zur Redaktion zwei Computer-Freaks auf die Messe zu schicken. Wir waren natürlich begeistert. Wir - das sind zwei 19jährige Gymnasiasten - und freie Mitarbeiter dieser Ausgabe.
Sehr schnell merkten wir, daß diese Messe entwas ganz Besonderes sein mußte. Auf der Autobahn standen wir nämlich schon drei Kilometer vor Hannover im Stau. Nach ungefähr eineinhalb Stunden hatten wir es geschafft, uns zum Messeparkplatz durchzukämpfen. An diesem Tag (Sonntag) waren über 90 000 Besucher auf der Messe; es wurden knapp 50 000 Pkws gezählt. Ziemlich beeindruckt gingen wir zuerst einmal zum Commodore-Stand. Es war aber leider völlig unmöglich, an die Stände heranzukommen; vor allem die Neuerscheinungen waren von Menschentrauben umlagert.
Aber am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe (9.00 Uhr) war es dann soweit.
Zuerst fielen uns die neuen Rechner auf. Der Nachfolger des VC 20 wird der neue Commodore 116 werden. Er hat den neuen 7501-Prozessor, 16 kB RAM, 32 kB ROM mit Basic 3.5 und eine Gummitastatur. Wer etwas mehr Komfort wünscht, für den gibt es das Modell 16. Dieser Rechner hat zwar dieselben technischen Details, steckt aber in einem 64er-Gehäuse. Der dritte im Bunde ist der C264 mit 64 kB RAM, wovon 60 kB von Basic nutzbar sind. Alle Computer glänzen durch hervorragende Grafik (320×200 Punkte, 128 Farben), die erstmals vom Basic voll unterstützt wird. Leider haben die Geräte keine Sprite-Fähigkeiten mehr und auch der hervorragende Soundchip des 64ers wurde gestrichen.
Weitere neue Geräte gab es für den Geschäftsbereich: Der gute alte 8032 wurde überarbeitet. Er heißt jetzt 8296 und steckt im neuen Softline-Gewand. Zwei 64-kB-RAM-Speicherbänke, Betriebssystem LOS (bekannt vom 8096) und Basic 4.0+ (identisch mit Commodore 600/700) sollen dem erfolgreichen Konzept noch einige gute Jahre bescheren.
Die Commodore-Floppylaufwerke gibt es jetzt alle als Slimline-Versionen mit halber Höhe, die Preise sollen die alten bleiben. Eine echte Neuheit war die Single-Floppy SFD 1001, die formatkompatibel mit der 8250 ist (1 Megabyte Kapazität pro Disk).
Im oberen Preisbereich stellte nun auch Commodore einen IBM-Kompatiblen vor. Es handelt sich um einen Portable, der identisch mit dem Agil beziehungsweise Hyperion ist; Commodore hat nämlich vor kurzem mit Hyperion einen Lizenzvertrag abgeschlossen. Die weitaus interessanteren Neuigkeiten gab's aber bei der Software: Uns gefiel vor allem Magic Desk sehr gut, das von den Commodore-Leuten liebevoll als "Arme-Leute-Lisa" bezeichnet wurde. Mit Magic Desk folgte Commodore dem allgemeinen Trend zur integrierten Software und zur freundlichen Benutzeroberfläche. Integriert soll hier heißen, daß mehrere oft benötigte Programme wie Textverarbeitung, Adreßverwaltung, Tabellenkalkulation, Rechner- und Kommunikationsprogramme von einem Hauptprogramm aus verwendet werden können. Die Steuerung erfolgt aber nicht mehr über Menüs oder Befehle, sonder über Pictogramme, also Bildsymbole. Dabei gibt es mehrere Eingabemöglichkeiten: Man kann den Cursor, der die einzelnen Funktionen anwählt, mit den Cursortasten oder mit dem Joystick steuern, oder mit dem neuen Touchscreen. Der Touchscreen ist eine berührungsempfindliche Folie, die einfach über den (Commodore-)Monitor geklebt wird. Jetzt braucht man nur noch ein Feld auf dem Bildschirm anzutippen, um die entsprechende Funktion zu aktivieren.
Diesen Touchscreen wird es auch für den 64er geben. Magic Desk soll etwa 300 Mark kosten, der Screen 350,-. Die 64er-Version hatte auch noch einige Schwächen, so lief zum Beispiel die Adreßverwaltung noch nicht. Diese Mängel sollen aber alle behoben sein, wenn das Modul Mitte des Jahres auf den Markt kommt. Auf dem Commodore 264 lief Magic Desk einwandfrei. Natürlich hat man bei diesem Rechner kräftigere Farben und eine höhere Arbeitsgeschwindigkeit. Uns persönlich ist das Ganze fast ein bißchen zu verspielt. Wenn man zum Beispiel auf der Disk ein File löscht, sieht man auf dem Bildschirm, wie dieses "Dokument" vom "magischen Schreibtisch" in den "Abfalleimer" flattert.
Zwei der ausgestellten C64 hatten eine deutsche Tastatur und ein Modul für den deutschen Zeichensatz. Die Leute von Commodore wußten aber noch nicht, ob dieser Umrüstsatz auf den Markt kommt. Ebenso ist noch offen, ob es für den 64er ein neues, schnelleres Disklaufwerk, ähnlich dem für den 264, und einen parallelen IEC-Bus von Commodore geben wird. Dies sind jedoch rein vertriebspolitische Entscheidungen, da es solche Geräte von Fremdherstellern ja längst gibt.
Zur Jahresmitte soll es auch ein Modul geben, das den 64er bildschirmtextfähig macht: auf dem Messestand hat es ganz nett funktioniert.
Bei einem ausführlichen Gespräch mit einem Commodore-Vertreter erfuhren wir, daß es den gerüchteumwobenen Apple-Emulator nicht geben wird. Auch auf einen Commodore-Service per Telefonmodem, den es in den USA längst gibt (Compuserve), werden wir in Deutschland verzichten müssen. Der C444 oder "TED", von dem man in letzter Zeit die reisten Wunderdinge hörte, ist noch ein Entwicklungsprojekt, dessen technische Daten völlig im dunkeln sind. Je weniger die Leute wissen, desto mehr brodelt die Gerüchteküche.
Als ich den netten Commodore-Onkel schließlich noch auf die kritikable Qualität der Handbücher für C64 und VC 20 ansprach, war ich dann noch etwas platt. Seine Antwort lautete: "Wer sich ein Auto kauft, der hat doch eh schon einen Führerschein und außerdem wollen wir auch noch ein bißchen an den Büchern verdienen." Ob das auf die Dauer die richtige Marktstrategie ist?
Außer Commodore waren auch einige Fremdanbieter auf der Messe, die Interessantes vorzeigen konnten. Leider war Data Becker nicht vertreten. Ob man sich nicht auf die Messe traute? Interface Age stellte einige neue Programme vor. Das "Extended Synthesizer System" (138 Mark), einen neuen Basic-Compiler, der auch ExBasic und Simon's verarbeiten können soll (298 Mark) und einen "Disk Doctor" (138 Mark), mit dem man die absolute Kontrolle über sämtliche Möglichkeiten der Floppystation hat. Noch in Vorbereitung befindet sich das "Extended Grafik System".
Bei SM-Software gab es die bekannten fünf "Goldenen Tools" zu bewundern. Wir erfuhren unter anderem, daß Adreva 64 und Teile von SM Text 64 in Basic geschrieben worden seien, "um die Entwicklungskosten so niedrig wie möglich zu halten". Reine Maschinenprogramme, wie zum Beispiel SM Kit 64, seien eigentlich "völlig unrentabel", sie wurden nur entwickelt, weil sie "von den SM-Programmierern intern verwendet werden". Na gut. Auf die Frage, warum man eigentlich mit SM Text 64 keine Files von anderen Textverarbeitungsprogrammen verwenden könnte, grinste mich mein Interviewpartner an und meinte: "Das ist eine der kleinen Gemeinheiten unserer Programmierer. Das wird man sich ja wohl noch erlauben dürfen."
Ob sich aber Anwender, die von einem anderen Wortprozessor auf SM-Text umsteigen wollen, über derartige Scherze besonders freuen, erscheint mir fraglich. Sie dürfen nämlich zum Beispiel Formbriefe noch einmal völlig neu eintippen...
Was uns noch auffiel, war, daß außer Commodore, Apple und Atari kaum Heimcomputerhersteller zu sehen waren. Es gab keinen Sinclair QL auf der Messe zu sehen und die wenigen Japaner, die einen MSX-Computer vorzeigen konnten, versteckten ihn meistens sehr gut. Schade! Aber auf jedenfall war Hannover eine Reise wert. Nächstes Jahr sind wir auf jeden Fall wieder dabei.
S. Scharze, Johannes Thierold